Samstag, 23. Juli 2022

Zeit, Kosten, Behandlungsvorgaben: Ärzte unter Druck


Und wo bleibt der Patient?

Ich gehöre zu den Menschen, die normalerweise den Arzt grossräumig umgehen und lieber erst versuchen, ein Problem selber zu lösen. Diesmal waren es Schmerzen im Bereich Metatarsale 2 und 3. Dachte zuerst an eine Spontanfraktur - auf einem Röntgenbild nicht zwingend sichtbar. Daneben leide ich seit über 5 Jahren an Hüftbeschwerden infolge einer Coxarthrose, im Juli 2019 radiologisch nachgewiesen inklusive Schweregrad. Zudem kontrolliere ich aufgrund eines verdächtigen Wertes selber aktuell Blutzucker und meide zudem seit mehr als einem Monat zuckerhaltige Speisen.

Als ich mich anmelde, sage ich der MPA, weshalb ich den in der Gruppenpraxis für mich zuständigen Arzt konsultieren möchte: Röntgen von Fuss, Kontrollröntgen Hüfte sowie eine nachträgliche Verordnung für das Zuckermessgerät, welches CHF 187.90 gekostet hat. Ich ging davon aus, dass sie aufgrund dieser Angaben eine adäquate Zeitspanne für mich reservieren würde.


Überpünktlich bin ich schon eine Viertelstunde vorher da, sintemal man noch den aktuellen Versicherungsausweis abgeben und die erfassten Daten bestätigen muss.


Im Wartezimmer wird es dann wirklich ungemütlich: zwei Ventilatoren, geschätzt Windstärke Sieben! Ich stelle meinen Stuhl in den Windschatten und warte, warte, warte! Die Nasenschleimhaut ist schon ziemlich ausgetrocknet, da komme ich endlich dran.


Vor seinem PC sitzend fragt mich Dr. R, um was es gehe. Kurz und knapp informiert sagt er sogleich: "das wird heute nicht für alles reichen" und, fast vorwurfsvoll "ich habe jetzt schon 20 Minuten Verspätung". Schlucke meine Antwort, dass ich dafür nicht verantwortlich sei, herunter und bemerke lediglich, die MPA habe gewusst, für was alles ich komme.


Die Befragung wird relativ kurz, "nur" unterbrochen von 4 Telefonaten von Seiten der Réception. Diagnose: Überlastung der Metatarsaleköpfchen durch Absinken des Fussgewölbes. Dessen Ursache: offenbar irrelevant. Könnte es mit der Fehlstellung des Beines durch die Hüfteproblematik zusammenhängen? Ob sich bereits eine Köpfchennekrose gebildet hat, könnte man in einem Röntgenbild sehen. Zu den auffälligen Zuckerwerten respektive zu meinem Ernährungsverhalten werde ich nicht weiter befragt.


Auffallend: der Arzt ist ausschliesslich seinem Bildschirm zugewandt, seine Hände fliegen über die Tasten. Die CD mit den Röntgenbildern habe ich diesmal nicht mitgebracht. Ging davon aus, dass er die Bilder 2019 im System gespeichert hat. Er hätte zwar kurz einen Blick auf die Diagnose des Röntgenologen werfen können, schlägt jedoch vor, dass ich ihm die CD vorbeibringe und er sich diese vorgängig zum nächsten Termin mal anschauen werde. Erst dann würde er entscheiden, ob eine röntgenologische Verlaufskontrolle der Hüfte angebracht sei. Er will dann doch kurz mal den Fuss anschauen und bittet mich, mich hinzulegen, was mir nicht leicht fällt, da es mir kürzlich noch in den Rücken geschossen ist. Auch darauf geht Dr. R nicht ein…. ich weiss, die Uhr tickt.


Um mir einen neuen Termin zu geben, muss die Réceptionistin den Arzt kurz stören. Der würde vermutlich lieber mit der Befragung der nächsten Patientin weitermachen und seine 20 Minuten aufholen. Ich sehe da schwarz. Dunkelschwarz sehe ich, was die Betreuung der Patienten anbelangt, von einem ganzheitlichen Ansatz ganz zu schweigen.


Sanae: in memoriam

Meine Freundin Sanae fällt mir ein. Als sie mir seinerzeit berichtete, ihr Arzt habe immer nur auf den Bildschirm geschaut, als sie diesen mit ihren unsäglichen Magenschmerzen aufsuchte, konnte ich mir das damals nicht vorstellen. Japanerin und Magenschmerzen, da müssten bei einem Arzt sämtliche Alarmglocken klingeln, denn Magenkrebs ist eine der häufigsten Todesursachen in Japan. Aber nein, der homöopathisch ausgebildete Internist suchte passende Zucker-Kügelchen raus; dies nicht nur einmal, sondern über Monate hinweg und ohne genaue Diagnose. Da endlich insistierte Sanae, sie wolle genauere Untersuchungen und Resultate, zumindest eine Magenspiegelung. Da war sie dann, die niederschmetternde Diagnose Krebs. 


In Japan hat man gute Erfolge mit der entsprechenden OP. Könne man nicht machen, sagt ihr Arzt, denn sie hätte bereits Metastasen in der Lunge. Dies aufgrund von Herden, die er im Thoraxröntgen entdeckt zu haben meinte. Später entpuppte sich diese Einschätzung als falsch, es waren lediglich Entzündungsherde. Sofort wurde mit Chemo und Bestrahlung aufgefahren, worauf es ihr dann erst richtig schlecht geht. Eine Spontanblutung hätte ihr Leiden dann beinahe um einige Monate verkürzt, aber sie wurde gerettet. Man begann mit einer neuen, im Amerika entwickelten Gentherapie (mRNA), leider ohne Erfolg. Als sie sich dann doch in Japan einer OP unterziehen wollte, sagten die Ärzte, das sei leider jetzt tatsächlich zu spät. Zu Beginn wäre dies noch möglich gewesen, jetzt sei allein das Zwerchfell voller Metastasen. Sie starb kurz nach ihrem 70sten Geburtstag, dabei hatte sie sich so sehr gewünscht, ihren Enkel aufwachsen zu sehen.


Wie weiter?

Ich gehe nach Hause mit einem neuen Termin und einer möglicherweise richtigen Diagnose betreffend Fuss. Warum ich jedoch im Februar ein Foto meines Mittelfusses gemacht hatte, weiss ich nicht mehr. Ist mir etwas auf den Fuss gefallen, ist mir jemand auf den Fuss getreten? Meine Schwiegermutter lag damals im Sterben, es war eine Ausnahmezeit. Was, wenn das Metatarsale selber doch gebrochen oder zumindest angeknackst ist. Das hätte man auf einem Röntgenbild feststellen können - ich werde es wohl nie erfahren. Da der Arzt der Kasse gegenüber Rechenschaft schuldig ist, was für Untersuchungen er machen lässt, wurde es nicht gemacht. Die nachträgliche Verordnung für das Blutzucker-Messgerät könne er gegenüber der Kasse nicht verantworten, da die Praxis solche in Verdachtsfällen den Patienten gratis abgeben.


Das Gefühl, als Mensch nicht wahrgenommen zu werden, Billigstmedizin zu "geniessen", und dies erst noch zu immensen Prämien, ist frustrierend. 


Irgendwie tun mir ja die Ärzte leid, welche ihren Fokus primär auf die Zeit, das digitale Erfassen der Krankengeschichte und die Anforderungen seitens der Kasse legen und dabei den Menschen, der da hilfesuchend vor ihnen sitzt, ausblenden müssen. So haben sie sich das bestimmt nicht vorgestellt, als sie diesen Beruf ergriffen haben.


Ich werde die Übung erst einmal abbrechen und versuchen, mir selbst zu helfen, zum Beispiel mit Übungen zur Stabilisierung des Fusslängsgewölbes, Kräftigung der kurzen Fussmuskulatur, der tiefen Schienbeinmuskulatur und der Wadenbeinmuskulatur. 


Gemeinschaftspraxen und Spitäler würden ja sooo gut funktionieren, wenn nur diese doofen Patienten nicht wären, welche alles durcheinanderbringen.


Krankenkassenmodelle: (Beispiel Helsana)

HMO Gruppenpraxis, Hausarztmodell, Telmed oder gar Premed? Doch lieber freie Arztwahl? 


Beim HMO- und Hausarztmodell ist die jeweilige Praxis erste Anlaufstelle, bei Telmed muss man immer erst das Zentrum für Telemedizin (nicht Fernbehandlung!!) kontaktieren, bei Premed-24 wäre dies Medi24. Erst wenn die entscheiden, dass Sie tatsächlich einen Arzt brauchen, können Sie einen Termin buchen.


Freie Arztwahl gäbe es sowieso nicht, sagt mir die MPA an der Réception. Spezialisten würden Patienten meist nur noch nach Überweisung durch den Hausarzt nehmen. Die meisten Probleme könne letzterer nämlich bestens selbständig lösen, das spare Kosten!


Frage: wohin fliessen die Milliarden, welche wir alle jährlich an Prämien ausrichten und dazu solidarisch die von der Pharmafia angeregten, überteuerten und teilweise sinnlosen Behandlungen mittragen?


Vermutlich gibt es demnächst Dr. App, den ersten und unvergleichlichen digitalen Hausarzt im Taschenformat. Konsultationen werden dann nur noch vergeben, wenn man Sozialkreditsystem-konformes Verhalten gezeigt und genügend Punkte zur Verfügung hat. 


Schöne neue Welt? 🤔

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