Donnerstag, 16. Juli 2009

Jurisprudenz .... Vorsicht "Rechts"sprechung


Obwohl Prudenz im Zusammenhang mit Rechtssprechung Klugheit heissen soll, taucht in meinem Zentralrechner das Wort Vorsicht auf. So könnte Jurisprudenz gut und gerne "Vorsicht Juristen" heissen. Wie wir alle wissen, gibt es massive Unterschiede zwischen Weisheit, Klugheit und Cleverness. Wer hat noch nie das Wort "Rechtsverdreher" gehört?

Gestern habe ich mir gerade noch mit Begeisterung eine Folge von "Liebling Kreuzberg" reingezogen. Manfred Krug spielt da einen sehr sympatischen Anwalt. In besagter Folge erklärt er seinem Angestellten, es komme nicht darauf an, ob ein Mandant eine Straftat begangen habe, sondern ob man sie ihm auch nachweisen könne.

Eine Frau hatte kurz zuvor wutentbrannt ihren Ehemann angezeigt, der 2 Jahre vorher einen bewaffneten Überfall auf eine Tankstelle begangen hat. Sie tat dies nicht aus Gewissensgründen, sondern weil ihr Versorger sich eine Freundin zugelegt hatte.

Anwaltskanzlei Liebling & Arnold konnte nun das Ganze gerade noch mal gradebiegen. Sie erklären der betrogenen Ehefrau, die ihren Ausraster mittlerweile bereut und auf eine Rückkehr des verlorenen Ehemannes setzt, sie brauche gegen letzteren einfach nicht weiter auszusagen. Eine Ehefrau brauche prinzipiell nicht gegen ihren Mann auszusagen. Da sie bei der bereits getätigten Aussage nicht explizit auf diesen wichtigen Punkt hingewiesen worden sei, seien die damals gemachten Angaben ungültig, weil vor Gericht nicht verwertbar.

Soweit so gut, oder auch nicht. Was man bei einer TV-Serie noch mit einem Lächeln quittiert, empfindet man im tatsächlichen Leben als eine skandalöse Frechheit.

Eine junge Frau, Nadine Münster aus Lübeck, wurde im Dezember 2007 Opfer einer Vergewaltigungsorgie. Bei einem Discobesuch lernte sie den jungen Schwarzen Isaac B. kennen und hat sich auf einen Kaffee in dessen Wohnung einladen lassen. Obwohl zunächst Sympathie im Spiel war und es auch zum Austausch von Zärtlichkeiten kam, hat ihr der wegen Drogendelikten bereits Vorbestrafte Drogen gegeben, welche Nadine nach eigenen Angaben wehrlos machten. Plötzlich sei dann ein zweiter Mann, Collin Y., aufgetaucht und beide Männer hätten die junge Frau während etwa 6 Stunden immer wieder missbraucht. Sie sei geistig voll dagewesen, hätte sich aber einfach nicht wehren können. Und genau diese Wehrlosigkeit auf dem von einem der Täter gedrehten Handyvideo könnte u.a. fatal auf den Ausgang des Prozesses wirken.

Nadine Münster erstattete sofort Anzeige. Davon gibt es übrigens ein Polizeivideo. Sie schämte sich und war nicht mehr in der Lage, ihr normales Leben weiterzuführen oder gar zu arbeiten. Doch sie arbeitete aktiv an ihrer seelischen Heilung, las Erfahrungsberichte anderer Frauen und raffte sich auf, ihr Leben wieder aufzunehmen. Da begegnete sie erneut einem ihrer Peiniger, welcher sie auch direkt ansprach: "sag mal, bist Du nicht Nadine?".

Das warf Nadine in ihrem Heilungsprozess um Wochen zurück; die junge Frau fiel in eine tiefe Depression, konnte nicht mehr essen, wollte nicht mehr aufstehen und wies sich letztendlich selber in eine Psychiatrische Klinik ein. Nach wochenlangem Aufenthalt sollte sie in eine offene Therapie überwechseln, doch es gab keinen freien Therapieplatz. Am 18. August 2008 beendete Nadine Münster mit einer Überdosis Schlaftabletten ihr einst so hoffnungsfrohes Leben.

Die Täter sitzen vor Gericht. Von Reue oder Schuldempfinden keine Spur. Die Anklage lautet zwar auf Vergewaltigung. Wie heute durch RTL gemeldet wurde, ist die Möglichkeit, dass beide ungeschoren freikommen, relativ gross, nicht zuletzt wegen diverser Formfehler während der Verhandlung durch die Lübecker Polizei. Dazu der Anwalt von Nadines Vater: "Bereits im Ermittlungsverfahren sind Fehler gemacht worden. So haben Polizisten im Prozess ausgesagt, dass sie die Beschuldigten nicht ordungsgemäss belehrt hätten. Das heisst: Die Aussagen von damals dürfen nicht verwertet werden. Es gab Beamte, die wörtlich ausgesagt haben, sie hätten kein Konzept für die Vernehmungen gehabt - Widersprüche sind so nicht geklärt worden. Auch sind nicht gleich umfangreich Drogentests durchgeführt worden, sodass nur spekuliert werden kann, inwieweit Drogen die Wahrnehmungs- und Vernehmungsfähigkeit der Betroffenen beeinflusst haben könnten." Anwalt Liebling lässt grüssen.... und Isaac und Collin geben sich bereits jetzt siegessicher, mit Victoryzeichen und allem Pipapo.

Ich denke, Nadine hat sich nicht nur dreckig und in den Schmutz gezogen gefühlt. Am meisten belastet haben sie wohl die unausweichlichen Selbstvorwürfe sowie die Unveränderbarkeit des Geschehenen. Sie sah keinen Ausweg mehr.

Als sie 2006 zu Deutschlands bester Bäckerei-Fachverkäuferin gekürt wurde, hatte sie noch ganz andere Pläne: "Bis zum Abitur sind es noch zwei Jahre. Dann mache ich ein duales Studium, d.h. Betriebswirtschaft an der Universität und parallel dazu in der Filiale (Wandsbeker Filiale des Hansebäckers) verkaufen. Darauf freue ich mich, denn dann stehen mir alle Wege offen." An Selbstmord hat sie da sicher nicht gedacht!!

Rechtssprechung hat mit Recht, wie wir das empfinden, oft nicht viel zu tun; darum Juris prudenz: Vorsicht vor Cleverness und Rechtsverdrehung.

Übrigens: das englische "prudence" bedeutet nebst Klugheit eben nicht zuletzt auch Vorsicht, so wie im Französischen übrigens auch!

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