Montag, 18. Juli 2011

Kinderförderung.... oder doch eher Kinderarbeit?

angewandte Intelligenz
Man muss sich das Rüstzeug holen, um das Leben zu meistern, Ausruhen kann man sich auf dem Friedhof oder bestenfalls etwas früher, nach der Pensionierung, dann hat man Zeit! Etwa so empfand ich die Message meiner Grossmutter mütterlicherseits. Jahrelang habe ich mich denn auch in verschiedenen Bereichen versucht, schlau gemacht, aus- und weitergebildet.... ich habe geübt und geschuftet, bin immer tiefer in gewisse Gebiete eingetaucht, um jetzt plötzlich festzustellen: es ginge auch anders.

Eigentlich wurde mir dieses "anders" ja bereits in Kindertagen von einer meiner Cousinen vorgelebt. Sie war sowieso speziell. "Hast Du Esthers Aufgaben gemacht" wurde ihr Bruder Hans jeweils gefragt; sein "Nein" mit einem postwendenden "Warum nicht?" quittiert. Ich fasste es jeweils kaum und dachte, die Kleine müsste ihre Aufgaben doch selber machen oder halt gar nicht und dazu stehen; alles andere bringt doch nichts!

Obwohl sie es wohl schulisch nie auf eine Oberstufe geschafft hätte, verfügte sie durchaus über ganz viel praktische, angewandte Intelligenz. Wenn zum Beispiel Grosi väterlicherseits ihrem Powernapping frönte - nur echt mit Augenbinde und einem Hundertsiebenundzwanzigstel Kopfwehpülverchen - tauchte Klein-Esther nach einer kurzen Anstandspause auf, in der einen Hand Grosis Gebiss, in der andern das Märchenbuch: "Grosi, kannst Du uns noch ein wenig vorlesen?". Ja, denn ohne Zähne liest's sich schwer!

Als Esther dann schwanger wurde, hatte man allenthalben Bedenken. Sie gab ihrem Kind jedoch das Wichtigste, was es überhaupt gibt. Nein, ich spreche nicht von Essen, von Aufgabenhilfe, von blitzblank gebohnerten Böden oder Daueranweisungen, sondern von ganz viel LIEBE. Ihre Tochter war und ist ein wundervoller Mensch, der das Leben mit einer Leichtigkeit meistert, die auf Urvertrauen, Selbstwertgefühl und ganz viel Liebe beruht, einer Liebe, mit der sie nun ihrerseits alle, die ihr begegnen, beschenkt.

Klar bin ich heute froh, dass ich einige Sprachen spreche, über spezielle Fertigkeiten verfüge und gelernt habe, zu lernen. Wichtig war für mich aber auch, dass ich als Kind zwischendurch auch Zeit für mich selber hatte; um zu lesen, draussen zu spielen oder einfach zu sein. Wenn ich heute bei unseren Aikidokindern sehe, was alles in deren Agenden steht, wieviele Kurse sie nebst der Schule noch besuchen, dann wundert es mich nicht, dass beinahe jedesmal eines über unerträgliche Kopfschmerzen klagt - Spannungskopfschmerzen halt und zwar solche, bei denen ein Hundertsiebenundzwanzigstel Kopfwehpülverchen kaum etwas nützt und mit stärkerem Geschütz dagegen vorgegangen werden muss.

Ist es wirklich im Sinne unserer Steppkes, für alle Eventualitäten vorzubeugen resp. gerüstet zu sein und schon im zarten Alter von 10 Jahren über den Terminkalender eines Managers zu verfügen? Muss wirklich jedes Kind Frühenglisch büffeln, mindestens ein Instrument spielen und noch irgendetwas in Sachen Bewegung absolvieren? Wann bitteschön haben Kevin, Julia und Konsorten noch Zeit, eigenen Impulsen nachzugehen? Fördern ist gut, aber wo ist fängt die Überforderung an, oder gar die Kinderarbeit?

PS: Meine Cousine Esther ist leider gestorben, 4 Wochen nach der Geburt ihres ersten Enkelkindes. Das kann ich übrigens irgendwie immer noch nicht ganz begreifen! Es macht mich einfach traurig!

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