Freitag, 20. März 2009

Spitzengastronomie süss-sauer




Gestern genossen wir einen freien Tag und fuhren in den Jura. Irgendwie fühlen wir uns dort zuhause seit diversen Aikido-Stages in Saignelégier. Selbst ausserhalb der Stagezeiten sind wir immer mal wieder dorthin gepilgert, weil es da wahre Kraftorte zu entdecken gibt, wie zum Beispiel den Etang de Gruyère, jenes Hochmoor mit dazugehörigem See, welcher in angemessener Zeit zu Fuss umrundet werden kann oder die nahezu magische Landschaft entlang des Doubs.
Dort ist es heute leider nicht mehr ganz so überwältigend wie anno 2004, da selbst diskrete bauliche Massnahmen immer einen massiven Eingriff in die Natur darstellen.

Sowieso war gestern alles anders, auch im Dorf selber. Der Coop ist umgezogen, das Restaurant de la Gare in eine Art Westerntaverne verwandelt, nur echt mit zwei laufenden Fernsehgeräten - Grund genug für uns, zu dislozieren. Aber wohin mit zwei hungrigen Seelen oder besser gesagt Mägen? Wir fuhren also los Richtung la Chaux-de-fonds. Der Name hat nichts mit heissen Hintern zu tun, wie Martin hoffte, und auch nicht mit heissen Quellen wie ich meinte, sondern gemäss Wiki mit Kalkgrund. Hust! Wie auch immer, auf dem Weg dahin kommt man an Noirmont vorbei, einem kleinen Kaff, das vor allem mit einem berühmten Koch punkten kann, Georges Wenger. Ob das in der Gegend "Wansché" ausgesprochen wird, nobel ist die Adresse seines Relais auf jeden Fall.
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Da wir gerne gut essen, war die Hemmschwelle, dort zumindest einmal zu parkieren, nicht allzu gross. Ein Blick auf das aktuelle Menu à la Truffe Noire, "Tuber Melanosporum, provenance Périgord", erhältlich nur ab 2 Personen für 320 Franken pro Person zeigte klar an: hier wären wir wohl willkommen aber nicht unbedingt zuhause. Ich will ja das Restaurant nicht gleich kaufen, nur weil ich etwas zu Mittag essen will. Nicht auszumalen, in welchen Sphären sich der Preis bewegen würde, hätte Georges weissen Trüffel genommen, denn da kostet das Kilogramm nämlich bis zu 9000 €uro pro Minute!

Auch wenn ich mich jetzt wieder einmal unmöglich oder gar lächerlich mache in den Augen vieler: ich mag Trüffel nicht wirklich. Ab und zu ist ganz okay, aber bitte nicht dauernd oder wie hier gar in 9 Gängen.

Da wir wirklich hungrig waren, riskierten wir kurz einen Blick auf das à la carte-Angebot... schauen kost' ja nix. Der erste Punkt unter Vorspeisen: dreimal grand-cru-Schinken en apprêt... in Appretur! So , so, wohl mit Goldhandschuhen und vollendet-veredelter Behandlung auf den Teller gelegt oder was? Stolze 66 Franken will Wensché dafür. An zweiter Stelle sehe ich gleich Froschschenkel (cuisse de grenouilles), was ich für absolut verwerflich halte, egal zu welchem Preis. Les Cuisses dürfen in jurassischen Speisekarten offenbar keinesfalls fehlen, was die Auswahl eines Restaurants für mich jedes Mal schwierig gestaltet. Normalerweise meide ich Lokalitäten, welche solch barbarische "Erntemethoden" unterstützen. Aber würden die Leute es nicht bestellen, wäre es auch nicht im Angebot. Leute, wo bleibt das Gewissen? Zwischen Teller und Gaumen auf der Strecke, ich verstehe.

So machten wir uns denn schleunigst vom Acker und fuhren weiter bis zu den heissen Hin.... also nach Kalkgrund. Das Intérieur des Hôtel de Ville war Klasse, die Hygienevorschriften waren wohl eingehalten worden, nur das Essen war leider trotz der 13 GautMillau-Punkte (wie ich jetzt auf der Homepage sehe) nicht wirklich gut. Es gab um die Zeit nur noch den Tagesteller: ein in literweise Rotem verkochtes Fleisch (Civet de Boeuf à l'ancienne), etwas Gemüse (Jardinière de Légumes) und, da wir Polenta crèmeuse nicht mögen, Pommes. Letztere waren eine Abscheulichkeit, wohl ein Gruss aus der Mikrowelle. Das beste war wirklich das Brot, das war superlecker.

Wenn ich übertriebenes Getue rund ums Essen und Trinken sehe, dann tritt bei mir das Wort "Dekadenz" in den Vordergrund. Schlemmen und gesunde Ernährung sind nicht unbedingt ein- und dasselbe. Auch stellt sich die Frage: was braucht mein Körper, was würde er sich bestellen und was will der verwöhnte Gaumen sich noch so alles antun. Mittlerweile ist zum Beispiel die Molekularküche in aller Leute Munde und selbst Herr und Frau Biedermann machen einen auf Ferran Adrià, jenen Spitzenoch aus Spanien, der auf Monate ausgebucht ist und bei welchem die Gäste oft ein halbes Vermögen liegen lassen.

Zuviele chemische Zusätze, warnen jetzt die Gastrokritiker - allen voran GaultMillaud-Chefredaktor Manfred Kohnke - und schädlich für die Gesundheit. Es ist jedoch sicher eine Zeiterscheinung, dass man sich heute nicht mehr nur auf eine einfache Essenszubereitung konzentriert, sondern versucht, noch verrückter, noch teurer, noch komplizierter, noch ausgefallener zu sein als der Kollege. Gourmettourismus ist in.... "warst Du schon bei...?" Wer eine solche Frage mit: "wer ist das denn?" beantwortet, hört praktisch auf ein Mensch der zivilisierten Gesellschaft zu sein. Das ist fast so, als würde ich als Europäer am Tisch rülpsen, eine (Un)Sitte, die bei den Chinesen eine Höflichkeitsgeste ist.

Obwohl man bekanntlich sagt: "Il y a plus de vieux gourmands que de vieux médecins" essen wir tunlichst gesund, in Massen (?) und noch immer am liebsten Zuhause, denn...
...froh zu sein bedarf es wenig und wer Fro(sc)h ist, ist ein König.

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