Mittwoch, 20. August 2008

Botellón - Öffentlichkeit um jeden Preis

Botellón, was da so harmlos klingt, ist ein öffentliches Besäufnis. Sich die Lampe füllen bis zum Umkippen und gleichzeitig einen öffentlichen Platz in eine Müllkippe zu verwandeln.
Warum Botellón? Botellón heisst grosse Flasche, womit nicht der Jugendliche selbst gemeint ist, was vermutlich in diesen hoffnungslos scheinenden Fällen zutreffend wäre, sondern eine 1 bis 1,5-Liter-Flasche, in welcher sich die Teilnehmer solcher Veranstaltungen ihre eigenen Getränkemix' mitbringen. Ich meine, wenn es darum geht, möglichst schnell die Kontrolle über sein Zentralnervensystem zu verlieren, dann geht das nicht mit Bier, da muss schon was Stärkeres her.

Was also früher heimlich hinter verschlossenen Türen stattgefunden hat, gibt heutzutage nur noch den richtigen Kick, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit darauf gezogen werden kann. Seit 2002 gibt es sogenannte Macrobotellones mit Tausenden von Teilnehmern. Sie werden über Webseiten, Mail loder SMS spontan organisiert. Und die Medien berichten brav. Allein ganz normales (!!!) Kampfsaufen hat einen festen Platz in der Berichterstattung von Privatsendern wie RTL und Pro7. 
Genau gesehen hat doch heute Otto Normalverbraucher (was ist normal?) die Aufmerksamkeit, welche er eigentlich nicht unbedingt verdient. Wodurch auch. So schauen wir Bulemikerinnen beim Kotzen zu, Magersüchtigen bei der Gewichtserfassung mittels Briefwaage oder als Kontrastprogramm Frau Müller bei einer eher zähen Gewichtsabnahme, begleiten jugendliche Brutalos auf ihrem Weg durch Innenstadt, Erziehungsanstalt oder Entrohungscamp, nerven uns gemeinsam mit Supernannys über unerzogene Sprösslinge und unbedarfte Erziehungsberechtigte, sehen schöne Menschen mittels Schönheits-OP noch schöner (?) werden etc. etc. etc. Die Liste ist unendlich lang.

Seit das Fernsehen entdeckt hat, dass der Mann oder die Frau von der Strasse mediengeil ist und sehr viel kostengünstiger vermarktet werden kann als Promis, sind sie voll auf diesen Zug aufgestiegen. Und wenn dabei noch Fälle verarbeitet werden können wie die Entführung Kampusch oder der Fall Fritzl, dann schlagen sie zu. Angefangen hat dieser Trend bereits vor 20 Jahren, als eine elfenhafte junge Frau namens Silke Bischoff beim Geiseldrama von Gladbeck durch Kopfschuss starb. Der Vorwurf an die Journalisten damals, sie hätten die Arbeit der Polizei behindert, steht bis heute im Raum und man fragt sich, wie sich die Situation hätte entwickeln können ohne diese mediale Hetzjagd resp. Medienpräsenz.

Wenn sich einer kaputtmachen will, und das gegen jede Logik und obwohl man bestens weiss, was das jeweilige Gift bewirkt - oder vielleicht gerade weil man es weiss - dann soll er das bitteschön tun. In seinen eigenen vier Wänden! Die Öffentlichkeit will dabei weder zusehen noch für die Folgen aufkommen, die dann entstehen, wenn die Plätze nach solchen Massenveranstaltungen wieder aufgeräumt oder Leute vom Sozialnetz aufgefangen werden müssen.

Früher haben die Jugendlichen ein wenig gekifft, wobei Cannabis für viele lediglich Einstiegsdroge war. Vom Psychokampfstoff zum "Genussmittel" hat es Ecstasy geschafft. Es sorgte bei manchen für eine Dauerekstase, bei anderen für ein frühzeitiges Ableben. Es wird jedoch weiter gepröbelt - und gepöbelt - und so sorgt momentan die Partydroge Crystal für Schlagzeilen. Konsumenten weltweit zirka 16 Millionen, Tendenz steigend, wobei der Stoff geschnupft oder geraucht werden kann. Neuerdings wird das Mittel offenbar auch aufgelöst und injiziert, man gönnt sich ja sonst nichts. 
Crystal macht rasend schnell süchtig, das ist bekannt. Weniger bekannt war bis vor kurzem, dass zudem ein rasant schneller physischer Abbau geschieht, welcher bei manchen nur wenige Monate dauert. Nebst den physischen Problemen ist jedoch auch der negative Effekt auf die Psyche auffallend, wobei bei diesen Vorher-Nachher-Bildern gut sichtbar ist, dass es vielleicht gerade dieses Gefühl der Leere und Trauer war, das man mit Crystal bekämpfen wollte:

RTL (!!!) hat kürzlich über eine junge Frau berichtet, die vor allem mit den sichtbaren Folgen von Crystal nicht klar kam und sich in ihrer Verzweiflung das Leben nehmen wollte. Der Versuch misslang und sie liegt jetzt im Koma. Ein Leben, weggeworfen und vertan durch einen unstillbaren Drang, Grenzen zu erkunden und zu erfahren, der Sehnsucht nach noch grösser, noch haltloser, nach einer endlosen Steigerung. Einer Steigerung von was? Letztendlich wurde nur das gesteigert, was bereits vorbestanden hat und längst vorhanden war: dieses Gefühl der Leere, der Sinnlosigkeit und einer tiefsten Trauer.

So erfüllt man sich die Träume von Grossartigkeit (mit Alkohol), erlangt man die ersehnte Aufmerksamkeit oder stillt eine innere Sehnsucht, deren Botschaft man längst nicht mehr verstehen kann, und wird zu einer leeren Hülle, allenfalls zu einem Mahnmal für andere Suchtwillige, welche sich jedoch weder durch das abschreckende Beispiel noch durch andere Ermahnungen von einer Selbsterfahrung abhalten lassen werden.


Gerade jetzt während der aktuellen olympischen Spiele ist der Gedanke nach "diesem einen Moment der Grossartigkeit" im Leben nahe, DENJENIGEN Moment (One moment in time - Olympiasong 1988), für den wir alles tun... fast alles:

Wann werden wir lernen, das zu schätzen, was uns geschenkt wurde: das Leben selbst, und dieses Leben leben, in einfachem Sein! Wann werden wir lernen, dass es nichts zu erringen gibt und dass Freude unsere wahre Bestimmung ist? Dass nicht zählt, warum uns etwas geschieht sondern wie wir damit umgehen... JETZT! 
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, denn wie Sie sicher wissen: die Hoffnung stirbt zuletzt.

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