Freitag, 7. Mai 2010

Klasse(n)stimmung in der Palucca-Schule


Es gibt sie noch, die Klasse(n)räume, in welchen eine konzentrationsförderne Ruhe und Ordnung herrscht. Diese Schülerinnen und Schüler wissen ganz klar, für wen sie lernen und warum. Die Motivation ist für niemanden Problem, weil jeder sie für sich selber erzeugt und auch der Respekt, den sich Ausbildner und Auszubildene gegenseitig entgegenbringen, ist kein Thema.

Was, keiner der "ey Mann, voll konkret krass" seine Füsse auf den Tisch legt, ein Bierchen zwitschert und ne qualmende Selbstgedrehte zwischen den Imponierfingern hält? Keine verbalen oder physischen Attacken des Lehrkörpers? Von der ersten Minute an kann man sich den wichtigen Dingen einer Unterrichtsstunde widmen! Unglaublich!!!!!!

Wer jetzt sofort seine Kinder da einschreiben möchte, muss jedoch wissen: es ist kein Zuckerschlecken. Ja, denn Zucker steht nicht zuoberst auf dem Ernährungsplan angehender Tänzer.

An der weltbekannten Palucca-Schule in Dresden bietet der Lehrplan für jede Hirn- und Körperzelle etwas: sämtliche normalen Schulfächer wie Mathe, Sprachen etc., dazu intensive Auseinandersetzung mit der richtigen Ernährung - die Kinder kochen selber - und eben Tanzen, Tanzen Tanzen.

Tanzen ist Schwerstarbeit, und wer nicht UNBEDINGT tanzen will, der sollte es von vornherein bleiben lassen. Auch ist die aktive Zeit auf der Bühne - von wenigen Ausnahmen mal abgesehen (Margot Fonteyn) - äusserst beschränkt. Man lernt intensivstens, um dann zwischen 20 und 30 allmählich seinen Zenit zu überschreiten respektive zu übertanzen.

"Vom Tanzen besessen" ist eine 6teilige Doku auf MDR (Donnerstag 19.50 bis 20.15). Die "Palucca-Kinder" träumen von der ganz grossen Tanzkarriere, doch der Weg dahin ist steinig und erst noch ohne jede Erfolgsgarantie. Einen kleinen Einblick in den Werdegang einer hoffentlich zukünftigen Solistin resp. eines künftigen Solisten bieten uns 4 Tanzeleven; die beiden Sechstklässler Nina und David sowie die Zehntklässler Pauline und Shirley, welche sich im letzten Jahr ihres Grundstudiums befinden.

Eines wird sofort klar: wer ein Ziel hat im Leben, lebt absolut fokussiert. Er kann es sich nicht leisten, seine Zeit totzuschlagen und Freizeit ist während der Ausbildung ein Fremdwort. Man lebt für einen Traum, der sich zudem nur in den allerseltesten Fällen erfüllt. Also nichts mit Gamen, Rumhängen, Rauchen, Rumtrödeln etc. Selbst die Liebe muss ein wenig warten. Dafür beschäftigt man sich tagaus-tagein mit etwas vom Faszinierendsten, was es überhaupt gibt: Bewegung mit all ihren Facetten!

Dass die Füsse einer 15jährigen Ballerina nach dem Spitzentanztraining alles andere als glücklich aussehen, gibt einem schon etwas zu denken. Die sahen übrigens schon vor der Lektion nicht mehr allzu gesund aus. Wie bei Spitzensportlern hinterlassen Extremansätze unverwischbare Spuren. Es soll Tänzerinnen geben, die ihre Schuhe mit Kalbfleisch, Schafwolle oder Toilettenpapier auspolstern, um den unerträglichen Druck besser zu ertragen. Ob es was hilft?

Schön ist jedoch, diese starken, zentrierten und begeisterungsfähigen jungen Menschen zu sehen, welche dem inneren Ruf folgen und sich voll und ganz ihrem eigenen, urpersönlichen Seelenausdruck widmen.

Ob es sich finanziell auszahlen wird, fragt sich hier übrigens keiner. Geld ist für einmal Nebensache, wenn auch nicht ganz unwichtig, denn es kann schon sein, dass eine Tänzerin während einer schwierigen Aufführung bis zu drei Paar Schuhe durchtanzt. Im normalen täglichen Trainingsalltag sind die Schuhe meist nach einer Woche schon "weich" und werden zunehmend unbrauchbar. Anders als Laien benötigen Profitänzerinnen zudem oft eine Massanfertigung, welche deutlich mehr kostet als ein 08:15-Modell. Ob die heutigen Banker und Manager bei einer solchen Einsatz-Ertragslage bereit wären, auch nur eine einzige Augenbraue hochzuziehen. Wohl doch eher nicht!!

Die Ausbildungszeit ist übrigens dennoch gut investiert. Noch heute profitiere ich mich von Dingen, welche ich einst in der Musical-Schule von Alain Bernard gelernt habe, der ersten Schweizerischen Musicalschule überhaupt. Und immer noch prägt Bewegung mein Leben, wenn ich mich auch heute noch subtiler und präziser bewegen und meine Energie gezielter einsetzen kann. Das Eintauchen in die Welt der Bewegungsanatomie ist tatsächlich erfüllend. Was für mich früher einen riesigen Kraftaufwand bedeutete, wird dank "paraphysischem" Bewegen mit Hilfe sämtlicher Energiekörper, zu einem wohltuenden Genuss. Wurde ich seinerzeit auch oft physisch und psychisch bis fast zum Geht-nicht-mehr gefordert, kann ich nur sagen: es hat sich mehr als gelohnt.

Michael Barischnikow meinte übrigens einst:
"I don't try to dance better than anyone else; I only try to dance better than myself"
"Ich versuche nicht, besser zu tanzen als alle andern, ich versuche lediglich, besser zu tanzen als ich selber". Ein super Ansatz, den es täglich neu auszuprobieren gilt!

Apropos Tanzen: Wie wäre es, wenn Sie wieder einmal das Tanzbein schwingen würden... heute, morgen oder spätestens übermorgen? Tanzen Sie's gut!

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