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Wehmut â auch schon mal herzzerreissend đ |
Wird Wehmut Dein Begleiter, brauchst Du tatsÀchlich Mut. Mut, auf Vergangenes zu blicken; Mut, nicht im "Weh" stecken zu bleiben, sondern dankbar zu sein, dass es war, dass Du Teil hattest an etwas ganz Grossartigem oder auch etwas ganz AlltÀglichem.
In jedem Leben gibt es Begebenheiten, an welche man sich gerne erinnert, bei anderen wĂ€re man tatsĂ€chlich froh, wĂŒrde man sie endlich vergessen dĂŒrfen, und dies gerne auch im vollen Besitz seiner GeisteskrĂ€fte.
Eine wunderbare Frau (damals 86 Jahre alt) hat einmal schriftlich ihre Gedanken zum Prozess des Altwerdens mit mir geteilt. Ein Geschenk, das ich immer mal wieder hervornehme. Sie geht unter anderem auf die 5 SĂ€ulen der IdentitĂ€t (Leiblichkeit â Soziales Netzwerk â Arbeit und Leistung â Materielle Sicherheit â Werte) ein und schreibt dazu: "Sie alle sind im Laufe eines Menschenlebens in unterschiedlichem Tempo einem entwicklungsbedingten Wandel unterworfen. Geschieht dieser ĂŒberraschend, nehmen wir ihn deutlicher wahr als minime, vielleicht ĂŒber lĂ€ngere Zeit sich einschleichende VerĂ€nderungen. Wie jeder Mensch diese Schritte erlebt, ist individuell enorm unterschiedlich. Das Erfahren "es wird weniger" ist eine grosse Herausforderung; nicht einmalig, sondern tĂ€glich neu."
Wenn auch bereits in jungen Jahren emotionalste Herausforderungen zu meistern sind, so nehmen doch gewisse Themen mit dem Ălterwerden an Bedeutung zu. Ăusserlichkeiten verlieren an Wichtigkeit, innerliche Werte treten in den Vordergrund. Freute man sich in seinen frĂŒhen Zwanzigern auf das Rentnerdasein, das einem endlos Zeit zur freien VerfĂŒgung versprach, schaut man vielleicht, wenn es dann einmal soweit ist, wehmĂŒtig auf sein Arbeitsleben zurĂŒck. Plötzlich nicht mehr wichtig zu sein, sich dadurch vielleicht nicht mehr wertig zu fĂŒhlen, kann sich als harter Brocken herausstellen, der nur mit einer Prise Humor und allenfalls einem "Coupe AHV" (Kafi zum tĂŒnkle) geschluckt und verdaut werden kann.
Alles kann sich Ă€ndern, mehr oder weniger plötzlich: Gesundheit, Blutdruck, Körpergewicht, Fitness, Beweglichkeit, SehfĂ€higkeit, EigenstĂ€ndigkeit âŠ.
Ăberhaupt interessant, wie viel Mut einem die deutsche Sprache abverlangt: Hochmut (da vor dem Fall!), Demut, Anmut, Unmut, Schwermut, Sanftmut, Missmut, Ăbermut, Edelmut, Grossmut, Langmut, Wagemut, Armut, Freimut, Gleichmut, TodesmutâŠ. dann wĂ€re da noch die ReumĂŒtigkeit mit all ihren Kollegen.
Wehmut ist tatsĂ€chlich Mut zur Erinnerung; nicht nur, aber auch in Zeiten der Loslösung und des Abschieds. Ich habe mich in den letzten 5 Jahren von ganz vielem verabschiedet. Durch die Schliessung der Aikidoschule von regelmĂ€ssiger Bewegung, einem topfitten Körper und vor allem von ganz vielen wunderbaren Menschen, an welche ich mich immer gerne erinnere. Loslassen musste ich auch meine geliebten Eltern und ganz viele enge Freunde, welche viel zu frĂŒh von uns gegangen sind.
Seit Corona ist ganz vieles anders geworden. Ich musste dieses GefĂŒhl von SponatanitĂ€t, Leichtigkeit und NĂ€he im Umgang mit anderen Menschen loslassen. Wo man sich frĂŒher herzlich umarmt hat, gibt man sich heute nicht mal mehr die Hand. Die 2 Meter Distanz ist neue NormalitĂ€t geworden. Menschen gehen maskiert mit gesenkten Köpfen durch die Stadt, in der Hoffnung, so die angekĂŒndigte zweite Welle doch noch abzuwenden. Viele von Ihnen wurden seit 10 Wochen von niemandem mehr berĂŒhrt. Statt lĂ€chelnde Gesichter sehe ich mit blauem Vliesstoff homogenisierte, entpersonalisierte, gleichgeschaltete, gestresste Wesen.
Ich glaube, dieser Abschied fÀllt mir besonders schwer. Gehe ich durch die Lauben Berns, dann befÀllt mich eine tiefe Traurigkeit in der Gewissheit, das es niemals wieder werden wird wie vorher.
Hermann Hesses Gedicht "Stufen" fÀllt mir da spontan ein. Es bietet mir Trost und gibt mir Kraft:
Wie jede BlĂŒte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht
blĂŒht jede Lebensstufe,
blĂŒht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit, und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschĂŒtzt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hÀngen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lÀhmender Gewohnheit sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen RĂ€umen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
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